Im April 2025 hat England einen bedeutenden Meilenstein erreicht: Als erstes Land in Europa bietet der NHS (National Health Service) seinen Krebspatient:innen eine injizierbare Version des Immuntherapie-Medikaments Nivolumab (Opdivo) an. Diese Innovation verspricht nicht nur eine drastische Verkürzung der Behandlungsdauer, sondern könnte zugleich die Kapazitäten des Gesundheitssystems erheblich entlasten.
Was ist Nivolumab (Opdivo) – und wie wirkt es?
Nivolumab ist ein monoklonaler Antikörper, der gezielt an den PD‑1-Rezeptor auf T‑Zellen bindet. Tumorzellen nutzen das Protein PD‑L1, um diesen Rezeptor zu aktivieren und so T‑Zellen “auszuschalten”. Nivolumab blockiert diese Signale, wodurch das körpereigene Immunsystem Tumorzellen wieder erkennen und zerstören kann. Seit seiner Erstzulassung hat sich das Präparat insbesondere bei soliden Tumoren bewährt.
Von der Infusion zur Injektion: Warum die Umstellung ein Game‑Changer ist
Bisherige Standardtherapie:
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Verabreichung per intravenöser Infusion, Dauer: 30–60 Minuten alle zwei oder vier Wochen.
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Erfordert aufwendige Vorbereitungen durch Pflege- und Apothekenteams.
Neue subkutane Injektion:
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Verabreichung in nur 3–5 Minuten unter die Haut.
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Gleich starke therapeutische Wirkung wie die Infusion.
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Erspart Patient:innen lange Sitzungen im Krankenhaus.
Diese Umstellung ist nicht nur ein Komfortgewinn für Patient:innen, sondern spart laut NHS England jährlich mehr als 1.000 Stunden Behandlungszeit – das entspricht über einem Jahr zusammengezählter Infusionszeiten NHS England.
Zulassung und Roll‑out in England
Am 30. April 2025 erteilte die britische Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) die Zulassung für die subkutane Formulierung von Nivolumab GOV.UK. Kurz darauf kündigte NHS England an, bereits im Mai die ersten Patient:innen zu behandeln.
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Zielgruppe: Rund 15.000 Patient:innen pro Jahr, das sind knapp 1.200 pro Monat The Guardian.
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Anwendungsgebiete: Zugelassen für 15 Krebsarten, darunter Lungen-, Darm‑, Nieren‑, Blasen‑, Speiseröhren‑, Haut‑ sowie Kopf‑ und Halskrebs The Guardian.
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Kosten: Aufgrund eines Preisabkommens mit Bristol Myers Squibb entstehen dem NHS keine Mehrkosten im Vergleich zur Infusion The Guardian.
Prof. Peter Johnson, NHS England’s National Clinical Director for Cancer, unterstrich:
„Diese Neuheit macht die Behandlung nicht nur schneller und bequemer, sie erhöht auch unsere Kapazität, mehr Patient:innen zeitnah zu versorgen.“ The Guardian
Patient:innenperspektive: Mehr Zeit und Lebensqualität
Für viele Betroffene bedeutet die Umstellung auf die Injektion eine erhebliche Entlastung:
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Weniger Klinikaufenthalt
Statt einer Stunde Infusion reicht eine kurze Spritze – ideal für Berufstätige, Eltern und Pflegebedürftige.
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Geringere Belastung durch wiederkehrende Hospitalisierung
Injektionen sind oft nebenbei beim Hausarzt oder im Ambulanzbereich möglich.
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Steigerung des Wohlbefindens
Mehr Zeit für Alltag, Familie und Selbstfürsorge statt ergonomisch unbequemer Infusionsliegen.
Eine Patientin berichtet:
„Ich kann nach der Spritze direkt wieder nach Hause fahren und meinen Tag fortsetzen. Das ist ein echter Gewinn an Lebensqualität.“
Systemische Effekte: Entlastung für Pflege- und Apothekenteams
Die Verkürzung der Behandlungsdauer wirkt sich auch auf das Personal aus:
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Pflegekräfte sparen wertvolle Zeit bei Vorbereitung und Durchführung.
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Apotheker:innen profitieren von vereinfachten Herstellungs‑ und Mischprozessen.
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Stationen und Tageskliniken gewinnen Kapazitäten für zusätzliche Therapien oder neue Patient:innen.
Naser Turabi von Cancer Research UK betont:
„Damit befinden wir uns in einem möglichen ‚goldenen Zeitalter‘ der Krebsforschung. Doch ohne ausreichende Investitionen und Reformen im Gesundheitssystem ist dieser Fortschritt kaum nachhaltig.“ The Guardian
Blick voraus: Wohin entwickelt sich die Immuntherapie?
Die Umstellung auf subkutane Applikation von Nivolumab ist nur ein Schritt in einem rasanten Feld:
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Weitere PD‑1/PD‑L1-Inhibitoren laufen durch Zulassungsstudien forschungsseitig auf subkutane Formen zu.
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Kombinationstherapien mit zielgerichteten Antikörpern oder CAR‑T‑Zellen werden ebenfalls auf schnellere Verabreichungsformen geprüft.
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Personalisiertes Monitoring könnte es erlauben, Dosierungen dynamisch an die individuellen Immunantworten anzupassen.
Fachleute fordern daher, politische Prioritäten und Forschungsbudgets entsprechend auszurichten, um diesen Schwung nicht zu verlieren.
Fazit
England ebnet mit der Einführung der Drei‑ bis Fünf‑Minuten‑Injektion von Nivolumab den Weg für eine patient:innenorientierte, effiziente Krebsversorgung. Rund 15.000 Betroffene pro Jahr profitieren direkt von kürzeren Behandlungszeiten, während das Gesundheitssystem insgesamt entlastet wird. Zugleich steht das Experimentieren mit subkutanen Formulierungen exemplarisch für das Potenzial moderner Immuntherapien – vorausgesetzt, öffentliche Investitionen und politische Weichenstellungen lassen weitere Innovationen zu.
Quelle:
Boseley, S. (2025, 30. April). Cancer patients in England to be first in Europe to be offered immunotherapy jab. The Guardian.